„Arien für Arier“? – Eine Replik

Unter dem unfassbar dummen Titel „Arien für Arier“ wurde in der Welt sowie auf Publikative.org ein Artikel von Matthias Küntzel veröffentlicht, der Einspruch gegen den „Wagner-Kult“ erheben möchte. Da er von Fehlern und falschen Unterstellungen nur so strotzt, kann dieser nicht unwidersprochen stehen bleiben. Die Grundannahme des Artikels scheint zu sein, dass Wagner Werk per se böse sei, da Wagner ein Nazi sei – was bis heute völlig ignoriert werde. Was teils banal, größtenteils falsch ist.

I.

Das antisemtische in Wagner und seinem Werk ist so aufgearbeitet und allgemein bekannt, dass es eigentlich müßig ist, dies weiterhin breit zu treten. Dass wenige neue Publikationen der Forschung sich noch mit dem Thema beschäftigen, liegt vermutlich daran, dass der Großteil bereits erforscht ist. Insbesondere die durchaus vorhandene – jedoch nur eine kleine Nebenrolle spielenden –antisemitischen Gedanken im Werk selbst, sind seit Adornos Versuch über Wagner allgemein bekannt. Auch der persönliche Antisemitismus, der sicherlich über das zu dieser Zeit übliche Maß hinausging, ist in unzähligen Schriften behandelt worden.

II.

Der Autor behauptet, das Thema Antisemitismus bei Wagner würde heutzutage totgeschwiegen. Abgesehen davon, dass es in einem Geburtstagsjahr, das der Feier des Künstlers dient, m.E. nicht nötig ist, nur auf negative Aspekte einzugehen, bleibt der Autor den Nachweis dafür schuldig. Dass manche Forscher das Thema nicht problematisieren beweist das völlige Fehlen ebenso wenig, wie das Ignorieren dieses Aspekts in einer einzigen Dokumentation. Das Werk Wagners ist so vielschichtig, dass es unmöglich ist, alles abzuhandeln. Wenn der „Ring des Nibelungen“ behandelt wird, bedingt dies nicht zwingend eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus.

Der Vorwurf geht zudem fehl, da es kaum ein Medium gibt, das Wagners Antisemitismus nicht thematisiert. Beispiele:

  • Die Deckblätter von Spiegel und Zeit Spezial photoshopppen beide ein Hakenkreuz neben Wagner;
  • Mehrere Dokumentationen in 3Sat – teils in direktem Zusammenhang mit der angesprochenen „Ring“-Doku – die allesamt das Thema „Wagner im Nationalsozialismus“ breittreten;
  • Eine 5-teilige Reihe über Wagner in MDR enthält 2 Teile über den Antisemitismus;
  • Die Inszenierung des „Tannhäuser“ in Düsseldorf spielt in der Nazi-Zeit.

Besonders abstrus wird der Hinweis aus die Briefmarke und Gedenkmünze. Wie man mittels solcher ein Thema gezielt unter den Tisch kehren könne, wie der Autor dies postuliert, kann er leider nicht erklären. Der Autor möchte wohl an die Brust Wagners auf jeder Abbildung ein Hakenkreuz anbringen.

III.

Der Artikel bleibt behaftet in alten Klischees und einem zu-Recht-biegen, wie es gerade für die eigene Linie nötig ist. Dabei wird der gleiche Fehler begangen, der seit Jahrzehnten die Diskussion müßig erscheinen lässt. Es wird durchweg suggeriert, Wagner habe in einem zeitlich und ideologisch den Nazis so nahem Zeitraum gelebt, dass er selbst ein Nazi bzw. gar Komponist Hitlers gewesen sei (der eine Grund für die Dummheit des Titels). Angesichts der Zeitspanne von 50 Jahren seit dem Tod Wagners wenig zielführend. Behelfen muss sich der Autor wieder einmal damit, eine Gleichsetzung durch die Nachkommen und den angeheirateten Winifred und Chamberlain zu erreichen – ein schon lange durchschautes Spiel

Ignoriert wird zudem einmal mehr die Entwicklung der deutschen Nation, in deren Lichte viele Äußerungen Wagners zu sehen sind – wie z.B. die Gegenüberstellung von „deutsch“ und „welsch“ (und nicht dem jüdischen, wie der Autor – der alles „deutsche“ per se abzulehnend scheint – dies suggerieren muss). Wagner erlebte die Revolution 1848/1849 nicht nur persönlich mit, er beteiligte sich sogar daran. Er erlebte die Gründung des jetzigen Landes mit und beteiligte sich daran auch künstlerisch – die heute merkwürdig erscheinenden Textstellen in Opern wie Tannhäuser, Lohengrin und Meistersingern lassen sich so leicht erklären.

IV.

Dass das Konzept „Droge“ in vielen Deutungen derzeit hervorgehoben wird, mag richtig sein, wenn man ausreichen lässt, dass eine echte Auseinandersetzung mit Wagners Werk auf deutschen Bühnen nur noch selten stattfindet und stattdessen landauf landab so nichtssagende und banale Inszenierungen wie die der Ringe an der Berliner Staatsoper und in München gezeigt werden. Mir reicht das nicht aus, da ich in solchen Nicht-Deutungen einschlafe und so keine Wirkung einer Droge empfinde.

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Zitat Wagners, wonach nur der „wunderbar erhabene Seufzer des Ohnmachtsbekenntnisses“ übrig bleiben solle, kann nicht erfolgen, da Herr Künztel in seinem Aufsatz nicht die originale Quelle zitiert, sondern nur Sekundärliteratur. Hingewiesen auf zweierlei: Die Formulierung, alles zum „Wahn der Persönlichkeit“ gehörende hinwegschwemmen zu wollen, ist offensichtlich an Schopenhauers „bloßes Subjekt der Erkenntnis“ angelehnt – woraus sich ein völlig anderer Sinn ergibt, als der Autor suggeriert. Zum anderen sind die Schriften Wagners voll mit Äußerungen, wonach er gerade nicht wollte, dass das Publikum seiner Opern einen entspannten Opernabend genießen könne, zuvor das Hirn der Garderobe abgegeben habend. (Ein Beispiel siehe im Anhang.) Im Gegenteil wünschte er stets ein aufgeklärtes, bildendes und intelligentes Theater, das zu einer geistigen Auseinandersetzung zwinge. Das Werk Wagners ist denn auch voll von Warnungen und drastischen Schilderungen der Folgen, wenn ein Volk einem vermeintlichen Heilsbringer hinterherläuft. Die Gräueltaten des Nationalsozialismus hätten vielleicht verhindert werden können, wenn Wagners Werk genauer betrachtet worden wäre.

V.

Wagner als „erzreaktionär“ zu bezeichnen zeugt von einer völligen Unkenntnis des musikalischen Schaffens, der Schriften und der Lebenssituation Wagners. Denn das Gegenteil ist der Fall. Wagner war zeit seines Lebens ein Revolutionär. Nicht nur revolutionierte er das Theater und die Musik durch seine Komposition, Schriften und Taten. Auch stand er 1848/1849 an den Barrikaden im Kampf gegen die alte Herrschaft, forderte in Schriften den Umsturz der Ordnung seiner Zeit und verbrüderte sich mit Linken und Kommunisten wie August Röckel und Bakunin.

VI.

Offen ist noch der zweite Grund für die Dummheit der Überschrift des Artikel Herrn Küntzels. Dieser ist simpel: Wagner schrieb keine Arien.

Anhang

… ward vollends die Oper zu einem Chaos durcheinander flatternder sinnlicher Elemente ohne Haft und Band, aus dem sich ein jeder nach Belieben auflesen konnte, was seiner Genussfähigkeit am besten behagte, hier den zierlichen Sprung einer Tänzerin, dort die verwegene Pasage eines Sängers, hier den glänzenden Effekt eines Dekorationsmalerstückes, dort den verblüffenden Ausbruch eines Orchestervulkans. Oder liest man nicht heutzutage, diese oder jene neue Oper sei ein Meisterwerk, denn sie enthalte viele schöne Arien und Duetten, auch sei die Instrumentation des Orchesters sehr brillant usw.? Der Zweck, der einzig den Verbrauch so mannigfaltiger Mittel zu rechtfertigen hat, der große dramatische Zweck – fällt den Leutchen gar nicht mehr ein.
Solche Urteile sind borniert, aber ehrlich; sie zeigen ganz einfach, um was es dem Zuhörer zu tun ist. Es gibt auch eine große Anzahl beliebter Künstler, welche durchaus nicht in Abrede stellen, daß sie gerade nicht mehr Ehrgeiz hätten, als jenen bornierten Zuhörer zu befriedigen. Sehr richtig urteilen sie: wenn der Prinz von einer anstrengenden Mittagstafel, der Bankier von einer angreifenden Spekulation, der Arbeiter vom ermüdenden Tagewerke im Theater anlangt, so will er ausruhen, sich zerstreuen, unterhalten, er will sich nicht anstrengen und von neuem aufregen. Dieser Grund ist so schlagend wahr, daß wir ihm einzig nur zu entgegnen haben, wie es schicklicher sei, zu dem angegebenen Zwecke alles mögliche, nur nicht das Material und das Vorgeben der Kunst, verwenden zu wollen.

Quelle: Richard Wagner, in: Die Kunst und die Revolution“ (GSD III, S. 20 f.). Hervorhebung von mir.

Der Autor Matthias Lachenmann ist zwar im Vorstand des Richard-Wagner-Verbandes Ulm/Neu-Ulm, der Beitrag stellt jedoch nur seine persönliche Meinung dar.

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