Tannhäuser und die alternative Personenführung (Bayerische Staatsoper, Premiere am 21.5.2017)

„Naja, hatten Sie denn bei Castellucci klassische Personenregie erwartet??“ fragt mich der Pressesprecher der Theaterakademie , Johannes Lachermeier, auf Twitter. Um das gleich zu beantworten: Ich hatte zum Glück keine Personenführung erwartet, da mir der szenische Arrangeur bereits bekannt war. Was allerdings eine „klassische“ Personenführung und was deren Gegenteil oder die moderne Variante sein soll, konnte mir nicht erklärt werden. Vermutlich ist das so etwas wie „alternative Fakten“.

Der neue Tannhäuser in München versprach eine sensationelle Sängerbesetzung und ein sowieso herausragendes Dirigat unter Petrenko. Da konnte einem die Inszenierung eigentlich egal sein. Aber die Aufführung zeigte exemplarisch, wie wichtig eine Personenführung auch für die Musik ist – denn ohne Inszenierung zerfasert das Dirigat und die Sänger können nicht alle Ihrer Fähigkeiten abrufen. Und so wurde die Tannhäuser-Premiere zur herben Enttäuschung.

Wer schon einmal eine Inszenierung von Castelucci gesehen hat, erwartet vieles – nur keine Personenführung. Das kann er nämlich nicht und es interessiert ihn schlichtweg nicht. Das könnte man dann auch „alternative Personenführung“ nennen. Es reicht ihm aus, ein paar pseudo-kraftvolle Bilder zu produzieren und ein paar Ballett-Tänzer rumhüpfen zu lassen. Castelucci studierte Bühnenbild und Malerei. Und das merkt man, denn mehr gibt es nicht in seinen Aufführungen. Die Sänger stehen einfach nur in der Gegend rum. Mit dem Chor (so viele Sänger!) kann er erst recht nichts anfangen und lässt sie von hinten nach vorne an die Rampe und wieder zurück gehen. Im 2. Aufzug bedürfte es ernsthafter Chorführung, da legt sich der Chor auf den Boden, wenn er nicht singen muss und steht auf und geht nach vorne, wenn er singen muss, anschließend legt er sich hinten wieder hin. Wenn mal agiert wird, passt das szenisch einfach nicht: die Sänger springen auf und rennen Richtung Vorderbühne kurz bevor Tannhäuser mitteilt, dass er im Venusberg war, nicht etwa nachdem der Chor das hört. Aber ist ja klar: der Chor muss gleich singen, dazu muss er halt schon vorher aufstehen.

Ähnlich allein gelassen werden die Solisten, die einfach nur an der Rampe stehen und runternudeln, was sie singen müssen. Fleischberg Venus steht auf der Stelle, Tannhäuser geht von rechts nach links neben ihr. Später stehen halt die Ritter neben Tannhäuser. Im 2. Aufzug stehen die Sänger neben einem Kasten aus Milchglas und singen. Im 3. Aufzug stehen zwei Särge auf der Bühne, die Sänger stehen neben, vor oder hinter diesen. Daraus folgt schnell das Problem: Es findet einfach keine Interaktion zwischen den Sängern statt, es werden einfach Text und Töne abgespult. Exemplarisch die zweite Szene des 2. Aufzugs, in der Elisabeth einfach Richtung Tannhäuser läuft, ohne dass die beiden miteinander reden würden. Oder das Ende des ersten Aufzuges, wo die Ritter immer Richtung Rampe singen, egal wen sie laut Text gerade ansprechen. Das ist so unfassbar billig und schlecht gemacht, dass man weinen möchte. Die Bebilderung (wow, Pfeile!; Igitt, Blut!) kann von diesem szenisch völligen Nichts nicht ablenken, auch das ist in keiner Weise tiefgründig oder durchdacht.

Die bayerische Staatsoper zeichnet sich ja seit Jahren durch völlig belanglose „Inszenierungen“ aus, in denen sich der internationale Sängerzirkus schnell einfinden kann – direkt aus dem Flugzeug einfach rauf auf die Bühne und rumstehen. Die Bühnenbilder sind austauschbar, eigentlich kann man jede neue Premiere im letzten Bühnenbild spielen, die Sänger stehen ja eh nur rum. Dass dafür die grandiose Alden-Inszenierung abgesetzt wird, ist eine kulturpolitische Schande.

Angesichts der großen Namen bei den Solisten erwartet man viel – aber zu Beginn hat Elena Pankratova ihre große Szene. Und sie singt zwar alle Töne, aber leider sehr verwaschen, breiig, ohne jegliches Textverständnis. Kein Wunder, dass sie den geringsten Applaus erhält. Besser als erwartet hingegen Klaus Florian Vogt, der natürlich seinem Stil treu bleibt und seine wunderbare, harmonische und melodische Stimme zur Geltung kommen lässt. Er ist kein „Haudrauf“ oder „klassischer Heldentenor“, sondern ein Mann der diffizilen, kleinen, detailgenauen Gestaltung. Manchmal fehlt sicherlich der „Wumms“, aber allein diese fantastischen Piani und Phrasierungen (das „Elisabeth“ zum Schluss! Das „erbarm‘ dich mein“!) suchen ihresgleichen und machen Vogts Tannhäuser zu einem echten Erlebnis. Großartig ist Georg Zeppenfeld als König Heinrich, ein sonorer Bass, perfekt textverständlich, stets präsent und phrasierend. Was soll man zu Anja Harteros sagen. Eine der derzeit weltbesten Sopranistinnen, was sie hier erneut unter Beweis stellt, hier passt einfach alles. Aber die Krone des Abends Christian Gerhaher als Wolfram, der Mann ist einfach sensationell. 100 Prozentige Textverständlichkeit, perfekte Phrasierungen und dennoch viel Kraft. Operngesang wird zu Liedgesang, es haut einen um. Und doch, trotz dieser tollen Sänger: Man hat den Eindruck, bei allen bleibt die Handbremse angezogen, es fehlen die Emotionen. Wenn Sänger einfach nur dumm rumstehen müssen und nicht agieren dürfen, dann fehlt einfach etwas. Aber vielleicht liegt es auch am Dirigat.

Petrenko dirigiert den Tannhäuser zum ersten Mal, und selbst ein so großartiger Dirigent muss erstmal reinkommen in ein Werk. Insofern ist es keine Kritik, sondern eine reine Feststellung, dass sein Tannhäuser die nächsten Jahre sicherlich noch viel besser wird. Das Orchester ist glänzend aufgelegt, gewohnt klar, rein und deutlich, wunderbare Soli und Piani. Aber doch fehlte mir der große Bogen, es waren viele schöne Einzelmomente, die oft für sich standen. Teils zu getragen, teils zu laut, teils zu abrupt. Vielleicht auch hier: wenn szenisch nichts passiert, bleibt schnell auch das Orchester im ungefähren. Sicherlich war es schon ein sehr gutes Dirigat. Und mit der Zeit wird es zu einem großartigen werden.

Es bleibt das – hier: traurige – Fazit, dass Szene und Musik nunmal zusammengehören, ineinander übergehen, und sich gegenseitig zu Höhen oder – hier: – Tiefen führen können. Eine alternative Personenführung ist halt keine Personenführung und eine zähe Masse eine zähe Masse, die selbst Wagners großartige Musik zäh wirken lassen kann.

 

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Ein Kommentar

  1. Nun denn, „alternative Fakten“ also.

    Wenn ich schon so prominent zitiert werde, möchte ich dazu auch kurz Stellung beziehen.

    Castelluccis Arbeiten können in meinen Augen auf vielen Ebenen nicht wie andere Regiearbeiten rezipiert werden. Es geht ihm, so lese ich seine Produktionen, um den Ritus, um Überhöhung, vielleicht sogar um sakrale Momente. Personenführung oder eine stringente Figurenpsychologie spielen da in der Tat nicht die zentrale Rolle – das ist oft statisch und wirkt vielfach eher semi-konzertant.

    Die Qualität seiner Produktionen liegt doch in einem anderen Punkt, der großen Symbolkraft seiner Bilder, die eben nicht von einer linearen Nacherzählung des Librettos ausgeht, sondern (besonders im 3. Aufzug!) eine völlig neue Metaebene schafft.

    Im Übrigen finde ich die Inszenierung auch nicht in allen Teilen gelungen, allerdings sehe ich meine Berufung als Kommunikator einer „Schwester-Institution“ und als ehemaliger Mitarbeiter der Staatsoper eher nicht darin, solche Diskussionen auf Twitter auszutragen.

    Und hiermit klinke ich mich aus dieser Diskussion aus. Viel Freude und alles Gute!