Die Meistersinger von Nürnberg, Staatsoper München, die Premiere am 16.5.2016

In den Boxring gelangen die Meister über eine kleine Treppe, um sich dort im Sängerstreit zu messen. Wenn man das zu Beginn des 1. Aufzuges sieht, scheint nach wenigen Minuten klar: Beckmesser wird die Treppe im 3. Aufzug hoch steigen, wird stolpern und wird sagen „wie wackelig, macht das schön fest“. Doch es kommt anders: Beckmesser singt die Stelle in die Luft hinein bevor er an die Treppe kommt – um erst danach über eine defekte Stiege zu stolpern. Das war es dann an Überraschungen in dieser Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“, die David Bösch inszenierte. Wenn David ganz am Schluss in den Meistersinger-Pokal kotzt und Stolzing nach der Ansprache ohne Meisterwürde wegrennt, ist das die erste und letzte Interpretation in dieser sonst biederen Erzählung. Ansonsten wird man gelangweilt durch ein leicht modernisiertes Erzählen der Geschichte und dem Schwelgen im Kitsch, ohne eine bemerkenswerte Personenführung (immerhin gab es eine!) bieten zu können.

Ziel der Neuproduktion war wohl schlicht, den großen Sängernamen einen neuen Rahmen zu geben. Trotz beeindruckender Besetzungsliste wird der Star des Abends jedoch ein anderer sein: Kirill Petrenko wird mit Jubelstürmen überschüttet – durchaus zu Recht. Das Orchester der bayerischen Staatsoper ist einfach wunderbar und begeistert unter Petrenko mit einem klaren, präzisen, warmen Klang. Petrenko begeistert mit der gewohnt-akribischen Partitur-Arbeit, einer zackigen Ouvertüre und dem Verdeutlichen einzelner Notenlinien (die Tuben! die Pauken!) und macht die Aufführung zu einem echten Erlebnis. Dabei ist nicht alles perfekt, immer wieder wirkt die Handbremse angezogen und die Emotionen zurück gefahren (z.B. der Aufmarsch der Zünfte im 3. Aufzug) – aber das wird wieder wettgemacht durch viele besonders großartige Stellen (z.B. das vom wunderbaren Chor ewig gehaltene „Wach auf“). Ein in dieser Präzision nur selten zu hörendes Ereignis, das den Besuch bereits lohnt.

Die Sänger bieten, was man erwartete. Das gilt insbesondere für das szenische Rollendebüt von Jonas Kaufmann als Walther von Stolzing, der überbewertet ist wie kein anderer Sänger des internationalen Opernzirkus. Zwar schafft Kaufmann es inzwischen, sich gegen Chor und Orchester zu behaupten – leider, ist man versucht zu sagen. Denn so hört man das gaumige, kehlige, gepresste und nur unter großem Druck ansprechende in seinem Bariton umso deutlicher. So ist es kein Wunder, dass Kaufmann immer wieder die Vokale verfärbt und ihm die Töne verrutschen, insbesondere im 3. Aufzug, in dem ihm die Kräfte größtenteils verlassen. Die Dichtung des Preisliedes in der Schusterstube ist kaum zu ertragen und das – sowieso schon wackelnde – Quintett wird immer dann besonders schlimm, wenn Kaufmann wieder reinblökt. Aber das schlimmste an Kaufmann ist, dass ihm die Höhe völlig abgeht, er über die Mittellage einfach nicht hinauskommt, nichts frei fließt.

Ansonsten ist ein Sänger besser als der andere, bis hin in die kleinen Rollen. Das beginnt bei Tareq Nazmi als Nachtwächter, der mit einer sonoren, ausdrucksstarken, kräftigen und wortdeutlichen Stimme begeistert – von ihm wird man sicherlich noch viel hören – und endet bei Wolfgang Koch als stimmgewaltigen und nie ermüdenden Hans Sachs. Klar ist nicht alles perfekt bei Koch, manchmal rettet er sich in Sprechgesang oder er kommt nicht auf die Töne, aber das stört keineswegs angesichts der Gesamtleistung und des ausdrucksstarken Gesamtportraits. Erstklassig auch Christoph Fischesser als präsenter, absolut textverständlicher und emotionaler Pogner – großartig! Eike Wilm Schulte ist ein hervorragender Fritz Kothner, der der Rolle die nötige Präsenz verschafft und Markus Eiche ein stimmschöner und ausdrucksstarker Beckmesser. Eiche ist ein großartiger Sänger, auf dessen weitere Karriere man sich freuen kann. Benjamin Bruns ist als David ebenfalls sehr präsent. Besonders begeistern konnten zudem die beiden Damen in den schwierigen Hauptpartien. Okka von der Damerau als Lene zu loben, heißt in München Eulen nach Athen zu tragen. Ihre weiche, runde Stimme verfügt stets über die nötige Präsenz und wertet die Rolle zu einer echten Hauptpartie auf. Mir bis dato unbekannt war Sara Jakubiak– was für eine großartige Eva! Eine kräftige, volle, sicher geführte Stimme, die die Partie stets souverän im Griff hat und auch mitreißend spielt.

So bietet die Aufführungsserie eine musikalisch exzellente Darbietung, die nur getrübt wird durch die banale und nichtssagende Inszenierung. Man fragt sich (wie so oft in der Intendanz Bachler), warum die alte Inszenierung durch eine neue ersetzt wird. Nötig ist das eigentlich nur, wenn man etwas zu sagen hat und es nötig wäre, Neues zu schaffen. Wenn man die letzte nette und erzählende Inszenierung absetzt, braucht man diese nicht durch eine ebenso erzählende und ansonsten noch banalere Inszenierung ersetzen. Bachler wird wohl nach seiner Amtszeit für zwei Dinge in Erinnerung bleiben: Dass er Petrenko am Haus halten konnte (zweifelsfrei ein Verdienst sondergleichen) und dass er szenisch nur ein volles Haus erreichen möchte und dabei das Niveau bodenlos absenkt. Immerhin regte sich diesmal mehr Widerstand im Publikum als bei sonstigen Premieren, in denen das szenische Nichts meist resigniert hingenommen wurde.

Dr. Matthias Lachenmann

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