Opernkritik: Lohengrin am Aalto Theater Essen

Das menschliche Wesen ist das Ensemble seiner gesellschaftlichen Verhältnisse, wie Marx in seiner 6. These über Feuerbach schrieb. Ein Gedanke, der Wagners Opern immanent ist und sich auch im Lohengrin zeigt: Lohengrin unterliegt dem Zwang, jeder menschlichen Frau das Frageverbot aufzuerlegen und nach seinem Erkennen zurückzukehren. Elsa muss nach Nam‘ und Art fragen, da eine Beziehung anders nicht möglich ist. So ist das tragische Ende dem Beginn des Lohengrins schon immanent.

Ausweglose Situationen sehen wir regelmäßig in Tatjana Gürbacas Neuinszenierung am Aalto-Theater in Essen. Für Elsa wird der Scheiterhaufen schon bereitet, das Volk hat sein Urteil schon gesprochen: Hexe! Mörderin! Lohengrin erscheint mit einem Jungen, der die meiste Zeit präsent bleiben wird – Gottfried entstellt, unerkannt. Die Welt ist aus dem Fugen, die Treppen unnatürlich groß, die Gebäude unnatürlich klein. Die Treppe (eine Remiszenz an den Panzerkreuzer Potemkin?) bleibt das bestimmende Bühnenbild, das jedoch im Laufe der Aufführung aufgebrochen und gewandelt wird. Zum Schluss landen wir wieder bei einem (abgebrannten) Scheiterhaufen.

In einem solchen Rahmen erzählt Gürbaca die Geschichte des Lohengrin stringent, mit überzeugender und handwerklich klarer Personenführung. Große „Zumutungen“ bleiben aus, kleine gibt es durchaus. Das Überwältigen von der Musik wird einem immer wieder verleidet, z. B. wenn im Soldatenaufmarsch des dritten Aufzuges ein Soldat psychisch zusammenbricht oder Gottfried als vermeintlicher Sohn Lohengrins das Näherkommen der Protagonisten verhindert. Überhaupt ist Lohengrin sehr zurückhaltend im Gralsgemach, Elsa zu Beginn die aktive. Das ändert sich abrupt – die Personen finden nicht zusammen. Solche Szenen bleiben doch punktuell, in der Gesamtheit bleibt die Erzählung (zu) brav und nahe am Text. Aber Gürbaca nimmt die Personen ernst und plädiert – ganz im Sinne Wagners Orientierung an dem Figurenverständnis des Sophokles – für Verständnis aller Charaktere. So ist beispielsweise Ortrud nach dem Zwischenspiel des 3. Aufzuges auf der Bühne und muss den Schock des Tods ihres Gatten vor allem Volk erleiden.

Musiziert wird auf sehr hohem Niveau. Das Orchester ist unter Leitung von Tomáš Netopil exzellent und überzeugt mit erstklassigem Wagner-Klang. Er arbeitete sauber und vermag viele Akzente zu setzen, so dass ein großartiger Wagner-Abend schon im Vorspiel versprochen und gehalten wird. Bei den Sängern überzeugen vor allem die „Bösen“: Heiko Trinsinger als Telramund überzeugt mit kernigem Timbre und hörbar gemachter Verzweiflung. Katrin Kapplusch als Ortrud singt und spielt stets präsent, wenn auch vielleicht etwas zu lyrisch. Martijn Cornet als Heerufer ist ein präsenter und aktiver Heerufer, wie Almas Svilpa einen soliden König Heinrich gibt. Daniel Johansson startet sein Rollendebut als Lohengrin noch etwas unter Druck, aber vermag mit einem rundem Timbre und aktiver Gestaltung überzeugen. Jessica Muirhead als Elsa überzeugt vor allem in der Mittellage und Tiefe mit einem wunderschönen, runden und warmen Sopran, in dem man versinken möchte (in den Höhen wird es dann etwas zu metallisch). Abgerundet wird die Aufführung durch den exzellenten Chor!

Nicht unerwähnt bleiben soll der Einführungsvortrag des Produktionsdramaturgen Markus Tatzig, der sich nicht – wie allzu oft an Opernhäusern – auf eine Erzählung der Geschichte beschränkt, sondern kenntnisreich in Entstehungsgeschichte und Interpretation des Werkes einführt. Insgesamt eine lobenswerte Lohengrin-Aufführung, die Wagnerianern als der Region sehr empfohlen sei!

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