Opernkritik Bayreuth 2015: Tristan und Isolde

Sinnbildlich für Katharina Wagners Regiekonzept in ihrer Neuinszenierung Tristan und Isoldes in diesem Jahr kann das Bühnenbild des dritten Aufzugs stehen: viel Theaternebel im Dunkel, ab und zu durchbrochen von einzelnen Lichtblicken. Wer nach Katharina Wagners kurzweiligen, klugen und spannenden Meistersingern ähnliches erwartet hatte, wurde enttäuscht: Diesmal wurde biedere Hausmannskost einer mittelmäßig begabten Regisseurin geboten, eine Inszenierung, die die Musik nicht stört (wie das ja viele gerne haben und so Wagners Gesamtkunstwerk verkennen), mit doch handwerklichen Mängeln. Wenn man den Unmut vieler Festspiel-Mitwirkenden über die künstlerische Leitung des Hauses hört und dies mit der Inszenierung vergleicht, würde man sich doch wünschen, dass Katharina all Ihre Energie in Ihre Tätigkeit als Leiterin steckt und begabteren Regisseuren das Feld überlässt.

Aber die Wagnerianer waren begeistert, bei Katharinas kurzem Auftritt zum Schluss gab es einhelligen Jubel – wohl die Freude darüber, dass es szenisch wenig zu denken und viel zu hören gab. Im 1. Aufzug sehen wir ein beeindruckendes Treppen-Labyrinth, das die Suche nach Wegen zueinander, ebenso wie die versperrten Pfade, eindrücklich darstellt. Aber eine solche Metaphorik ist für den gesamten Aufzug zu wenig, wenn dadurch eine Personenregie fast vollständig verhindert wird. Im zweiten Aufzug tänzeln die Sänger um wildgewordene Fahrradständer herum, die Regie wirkt hektisch und teils unbeholfen. Aber die Musik trägt das locker. Der dritte Aufzug gelingt noch am besten: Tristan erscheinen in seinen Fieberträumen verschiedene und verscheidende Isolden. Der statische Auftritt Markes wirkt hingegen unfreiwillig komisch. Wenn Katharina Tristans Satz „So waren wir Nachtgeweihte“ als Beweis nimmt, dass der Traum Tristan und Isoldes ihrer Vereinigung nicht wahr werden kann in der Tag-Welt, scheint sie die Oper nicht verstanden zu haben. Denn im Duett des zweiten Aufzuges wird nur allzu deutlich, dass die Protagonisten das Wort „Tod“ umdefinieren und so zur Erkenntnis des Irrtums der Subjektivität und des Eins-Sein mit dem Welt’ Atems glühenden All kommen.

Sängerisch ist der Abend exzellent, eine fast durchweg gelungene Premiere. Dies beginnt bereits in den kleinen Rollen, die durchwegs hervorragende besetzt sind – zu loben insbesondere Raimund Nolte als klangschöner Melot. Auch in den Hauptrollen nur eine kleine Einschränkung. Allen voran begeisterte Stephen Gould als kraftvoller, ausdrucksstarker, ausdauernder Tristan, der die Partie wie derzeit kaum ein zweiter singt. Auch im dritten Aufzug bleiben ihm bis zum Schluss scheinbar unermessliche Kraftreserveren. Leider wird Goulds differenzierte Gestaltung durch Evelin Herlitzius zu oft erdrückt, die sich reichlich laut und schreiig durch die Partie kämpft. Ihre Bühnenpräsenz ist unbestritten, ihre Piani und Mittellage beeindruck durchaus. Aber immer wenn sie laut wird, bleibt jede musikalische Schönheit auf der Strecke. Vermutlich wäre Anja Kampe die deutlich bessere Wahl gewesen.

Die Krone des Abends gebührt aber Georg Zeppenfeld, der mit völliger Textverständlichkeit, ausgiebiger Gestaltungskraft und seinesgleichen suchende Präsenz den Marke zum Highlight der Aufführung macht. Dies wird unterstützt von seiner angenehm leichten, aber überaus tragfähigen Stimme. Einer der herausragenden Bässe unserer Zeit. Überzeugen können auch Ian Paterson als ausgesprochen klangschöner, balsamischer und ausgiebig-gestaltender Kurwenal und Christa Mayer als hervorragende Brangäne, die (nach dem aufwärmen in den ersten Minuten) sehr präsent und kraftvoll überzeugte.

Fast könnte man also sagen, es wäre eine musikalisch sensationelle Aufführung gewesen – wenn da nicht das Dirigat Christians Thielemanns gewesen wäre. Keine Frage, es war sehr gut dirigiert: die Einsätze passten, das Orchester klangschön und wie bekannt qualitätsvoll und einige Stelle gelangen berührend. Aber im Vergleich zu den Jubelhymen, die ihm überall zukommen, war da doch noch reichlich Luft nach oben. Vor allem nervte Thielemann mit seinen bekannten Marotten: Der große Bogen der Partitur scheint ihn weniger zu interessieren als das Herausstellen kitschiger Einzelstellen. Stets hat man das Gefühl, Thielemann interessiere sich nur für den Effekt des Moments. So beispielsweise, wenn er ganz zum Schluss die Oboe nochmals völlig überdehnt und so den Schluss völlig zerstört. Auch könnte man seinen Einbau ständiger Generalpausen verschmerzen, wenn diese wenigstens eine innere Spannung aufweisen würde (wie es z.B. im 2. Aufzug Tannhäuser noch der Fall war) – im Tristan wirken die Generalpausen aber so, als ob jemand die Pause-Taste der CD gedrückt hätte und dann wieder auf Play drückt. Nach diesem Abend musste man sich fragen, ob es nicht besser für die Zukunft Bayreuths gewesen wäre, wenn Thielemann einen Posten in Berlin erhalten hätte.

Dies ist natürlich eine Einschränkung auf hohem Niveau und insgesamt bleibt diese Tristan und Isolde Aufführung ein Garant für ein volles Haus im Programm. Allerdings gibt es nunmehr szenisch jede Menge gepflegte Langeweile in Bayreuth: Tristan und Holländer, zu befürchten auch bei Laufenbergs Parsifal und  Hermanis Lohengrin. Der Elan der letzten Jahre, Bayreuth zu einem Hort des aktuellen, intelligenten und mit der Zeit gehenden Theaters zu machen – in einer Zeit, in der auch große Opernhäuser der Verflachung und Eventkultur frönen und möglichst langweilige Inszenierungen als Markenzeichen sehen – scheint erloschen. Möge uns das Feuer des Rings noch lange begleiten und Barry Kosky die Erwartungen erfüllen.

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